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DISKOGRAPHIE

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FUGATO

             
Beethoven - Sonate Op. 102/2
Brahms - Sonate Op. 38
Strauss - Sonate Op. 6

Estelle Revaz, Violoncello
François Killian, Klavier
Die Künstlerin über das Projekt
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VISION

Wie schon Johann Sebastian Bach vor ihm, spielt Ludwig van Beethoven eine tragende Rolle in der Entwicklung des Violoncellos. Seine fünf Sonaten für Violoncello und Klavier, seine drei Variations-Zyklen und sein Tripelkonzert steigern die Ausdrucksmöglichkeiten des Instrumentes auf bis dato ungekannte Weise. Indem er das Instrument wie kein Zweiter mit höchster lyrischer Ausdruckskraft und vornehmer Kantabilität versieht, bereitet er den Weg für die Komponisten nach ihm.
In welcher Weise und in welchem Maß beeinflusste seine so durchkomponierte und visionäre letzte Sonate, Opus 102, Nr. 2, Johannes Brahms und Richard Strauss, zwei Komponisten mit so unterschiedlichem wie idiosynkratischem Stil?

FUGATO

Das vorliegende Album führt seinen Zuhörer auf eine Reise durch das deutsche romantische Repertoire mit gleichzeitigem Blick auf die Kraft der Tradition, die Wirkung des Originellen und die Tragweite des Innovativen.

Mit dieser letzten Sonate für Violoncello und Klavier bricht Beethoven mit den Traditionen des Genres, als wolle er sich an künftige Generationen wenden. Dem Unverständnis seiner Zeitgenossen entgegnet er knapp: „Das Verständnis wird kommen“.
Es bedurfte für ihn der Erfahrung vier zuvor komponierter Sonaten, um in der fünften eine seltene Verdichtung der Themen und ein perfektes Gleichgewicht zwischen den beiden Instrumenten zu erreichen. Der erste Satz ist denn auch ein Juwel an thematischer Verdichtung und Präzision. Unterschiedliches musikalisches Material, zum einen lyrisch, zum anderen rhythmisch, vermischen sich und schaffen bedeutende Kontraste. Die Fähigkeit, mit der Beethoven das Hauptthema in der Durchführung variiert, ist ebenso bemerkenswert.
Der zweite Satz räumt mit der traditionellen Rolle des Violoncellos auf. Bis dato hatte es kaum mit dem Klavier oder anderen Soloinstrumenten rivalisieren können. Johann Sebastian Bach hatte es einige Jahre zuvor seiner (exklusiv) auf die Begleitung reduzierten Rollen enthoben, ohne aber den Rahmen seiner Ausdrucksmöglichkeiten wirklich auszuschöpfen. Mit dem zweiten Satz seiner Sonate in D-Dur schreibt Beethoven seinen einzigen langsamen Satz für Klavier und Violoncello. Das Violoncello bekommt hier den Raum, eine Vielfalt von Gefühlen auszudrücken, zum Teil verschämten, aber immer intensiven Charakters. Das Vortragszeichen con molto sentimento d’affetto, das mezza voce des Eingangs, die verschiedenen legati wie auch das espressivo, das wiederholt in der Partie des Violoncellos vermerkt ist, lassen keinen Zweifel daran, welche Schwelle hier überschritten wurde: Das Violoncello kann nun, schon aufgrund seiner lyrischen Qualitäten, Überbringer großer Emotionen sein. Die fünfte Sonate schließt mit einer meisterhaften und neuartigen Fuge, die mit der süßen Milde des langsamen Satzes kontrastiert und uns an jenem visionären Geist ihres Schöpfers teilhaben lässt, der die letzten Jahre in Beethovens Schaffen kennzeichnet.
Wenn das Prinzip der Fuge selbst an Bach erinnert und eine rigorose kontrapunktische Arbeit evoziert, so gibt Beethoven ihr hier noch eine weitere Komponente. Er wendet eine Struktur, die der traditionellen Doppelfuge, an, die er zugleich aus Gründen eines neuen Freiheitsbedürfnisses an ihre Grenzen führt. Aus dem Kerker seiner Taubheit, in dem sich Beethoven befindet, kann er sich nur durch seine enorme schöpferische Kreativität befreien – vielleicht der Weg, den er in dieser Situation gehen musste: eine zwingende, vorgegebene Form zu wählen, um schließlich auch daraus kompositorisch auszubrechen.

Wo Beethoven in die Zukunft blickt, so orientiert sich Brahms sehr stark an den Meistern der Vergangenheit. Er bewundert Bach und Beethoven aufrichtig, interpretiert sie sehr gerne am Klavier und betreibt Detailstudien ihrer Meisterwerke, um diese besser zu verstehen. Dieses Erbe ist für Brahms ein großer Quell der Inspiration. Nach seiner Übersiedlung nach Wien gibt er erfreut zu Papier, er wolle fortan „seinen Wein trinken, wo ihn Beethoven getrunken hat“. Gleichzeitig äußert er, wie sehr er unter dem Eindruck eines übermächtigen Schattens Beethovens leide, der beständig auf ihm zu liegen scheine. Die Sonate e-moll für Violoncello und Klavier von Johannes Brahms zeugt von dem Bedürfnis des Komponisten, sich in das große Erbe dieser Sonatenform einzureihen. Klaviervirtuose und Dirigent Hans von Bülow wird später die Reihe der „drei großen B“ aufzeigen, sozusagen die musikalische Geschlechterfolge Bach, Beethoven, Brahms.
Der erste Satz dieser Sonate in traditioneller ABA‘-Form unterscheidet sich durch sehr schöne romantische Phrasen, die auf der Basis sehr simpler Intervalle entstehen.
Der zweite Satz lehnt sich an das Menuett an, eine eher barocke oder klassische Form, die nach Beethoven mehr und mehr durch das Scherzo abgelöst wurde. Indem er die Menuett-Form für diesen Satz wählt, geht Brahms in der Zeit zurück und huldigt den Vorbildern der Vergangenheit. Natürlich stilisiert er die überkommene Form und drückt ihr seinen Stempel auf. Der Kontrast zwischen dem Teil „Menuett“ (historisch gesehen Menuett I) und dem „Trio“ (historisch Menuett II) ist besonders beeindruckend. Während das Menuett sehr formell die Eigenschaften des ursprünglichen Tanzes auf drei Schläge herausarbeitet, so entfernt sich das Trio von dieser Form. Auch das Trio bleibt bei drei Schlägen, aber seine rhythmische Struktur ist mit weiten legato überschriebenen Phrasen und mit Hemiolen versehen (ein von Brahms sehr geschätztes Stilmittel). Anstelle einer Innovation der Form lässt Brahms den Reichtum der Tradition umso klangvoller wieder aufleben.
Noch einen Anklang an vergangene Zeiten finden wir im dritten Satz, für den Brahms die Fuge wählt. Sie mag an den Contrapunctus 13 aus Bachs Kunst der Fuge gemahnen, kaum vorstellbar allerdings, dass Brahms nicht das Finale von Beethovens fünfter Sonate im Kopf hatte, von der oben die Rede war. Auf einer Fuge zu enden, keine allgemein übliches Vorgehen seinerzeit. Selbst wenn die beiden Fugen unter klanglichen Aspekten sehr verschieden sind, so kann man allein an der Wahl dieser Form eine Hommage von Brahms an sein großes Vorbild Beethoven sehen. Auch hier weiß Brahms – wiewohl die Anleihen an der Vergangenheit offensichtlich sind – wieder den Beweis seiner eigenen Originalität zu liefern. Während der Kontrapunkt eine wirkliche, insbesondere rhythmische Stabilität erfordert, führt Brahms in dieser Fuge eine Polyrhythmik und auch synkopierte Rhythmen ein. Er bringt im zentralen tranquillo auch die Süße ein, die für seine Musik so charakteristisch ist. Das ganze Brahmsche Universum eröffnet sich uns hier.

Richard Strauss wächst in der Verehrung Beethovens und Bachs auf. Sein Vater, Musiker und berüchtigter Anti-Wagnerianer, wählte für die Erziehung seines Sohnes den Kult der „Klassiker“. Als Richard Strauss mit 20 Jahren seine Sonate für Violoncello und Klavier vorstellt, ist dieser Einfluss unverkennbar; zunächst einmal durch die verschiedenen fugierten Passagen, die in allen drei Sätzen der Sonate immer wieder aufscheinen. Diese Fugati geben dem Werk einen Hauch von Gestrigkeit und eine Strenge, die es ein wenig konservativ erscheinen lassen. Dem entgegen stehen jedoch die vielfältigen kunstvollen Aufbrüche ins Lyrische, die den Richard Strauss im Zenit seines Schaffens ankündigen.
Der erste Satz zeigt den grandiosen und farbenreichen Stil des Komponisten. In der Tat ist die Komposition in den ersten Takten sehr orchestral geprägt. Dieser Eindruck wird noch durch die coda verstärkt, die durch ihre klangliche Intensität und ihren intensiv harmonischen Gestus beeindruckt.
Der zweite Satz zeugt von einer spektakulären Dramaturgie und von einer ebensolchen lyrischen Beschaffenheit. Das sehr langsame Tempo, der fast ekstatische Wesenszug von Einführung und Durchführung gemahnen ohne jeden Zweifel an den langsamen Satz von Beethovens Sonate, die am Anfang dieser CD steht.
Aber noch einmal sei erwähnt, wie Strauss bereits einige der Aspekte aufscheinen lässt, die später seine größten Werke kennzeichnen werden: die Bandbreite seiner Dynamik (vom dreifachen Piano bis zum dreifachen Fortissimo), sehr große Intervalle, selbst innerhalb einer einzelnen Phrase, sowie eine besonders ausgesuchte harmonische Spannung.
Der letzte Satz führt diese extreme Modernität noch weiter aus, das Prinzip des fugato ist omnipräsent. Wir spüren die tonale Komplexität und die unerwarteten Modulationen, die Strauss‘ Formensprache charakterisieren. Man spürt ebenso seinen Sinn für das Theatrale. Man möge besonders das gegenseitige, spielerische Imitieren zwischen Klavier und Violoncello im Übergang zur Durchführung auskosten. In der Entwicklung dieses Tonmaterials klingt der epische Charakter seiner künftigen Heldenfiguren an. Trotz seiner Jugend Alters und der Bewunderung, die der junge Richard Strauss Beethoven und Brahms entgegenbringt, geht er hier bereits seinen eigenen Weg, einen Weg, der ihn zu jener Originalität und Modernität führen wird, die wir in Elektra bestaunen können, bevor er vorübergehend wieder auf traditionellere Pfade einschwenkt.

Das Verweben von Tradition, Originalität und Innovation ist von großer Komplexität und entwickelt sich entlang der verschiedenen Etappen im Leben des Musikschaffenden. Beethoven ist 45, als er seine Sonate op. 102, Nr. 2 komponiert. Er geht seine letzte kreative Schaffensperiode an und wählt den Weg von Innovation und Unabhängigkeit. Brahms beginnt seine Sonate in e-moll knapp vor seinem dreißigsten Lebensjahr. Er ist bereits als Komponist verschiedener Meisterwerke hervorgetreten, aber sein Arbeitsansatz ist eher der, Tradition und Originalität zu verknüpfen. Als Richard Strauss dann seinerseits seine Sonate für Sonate für Violoncello und Klavier vorstellt, ist er gerade einmal 19 Jahre und knapp der Pubertät entronnen. Obwohl er noch sehr von der musikalischen Tradition beeinflusst ist, spürt man seine eigene Vision schon sehr deutlich.
Enden wir mit einem Zitat von Friedrich Nietzsche aus "Also sprach Zarathustra" - einem Werk, das Strauss später vertonen wird: „Der Schritt verräth, ob Einer schon auf seiner Bahn schreitet […]! Wer aber seinem Ziel nahe kommt, der tanzt.“ 

Estelle Revaz