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DISKOGRAPHIE

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INSPIRATION POPULAIRE

             
De Falla - Siete Canciones
Janacek - Pohádka
Schumann - Fünf Stücke im Volkston
Ginastera - Sonate op. 49
Popper - Ungarische Rhapsodie

Estelle Revaz, Violoncello
Anaïs Crestin, Klavier
Die Künstlerin über das Projekt
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VISION

Volksmusik und Tanz sind für Kunstmusik immer eine Quelle der Inspiration gewesen, da sie mit den Seelen der Menschen in Verbindung bleiben. Dennoch hat die Tendenz der Komponisten gegenüber einer universellen musikalischen Sprache den Charakter ethnischer Merkmale, den sie enthalten, beträchtlich verwässert, ein besonders in Europa beachtenswertes Phänomen. Im 18. Jahrhundert entstand die künstlerische Neigung, exotische Farben und Reize hervorzuheben. Komponisten begannen, sich ausländischen Volkstums zu bedienen, um ihre Werke mit ungewohnten Klängen zu würzen, zum Beispiel das Rondo alla Turca in der Klaviersonate in A-Dur von Wolfgang Amadeus Mozart. Gleichzeitig fand auch politisch eine Steigerung des Nationalismus statt und jedes Land, jede Volksgruppe strebte so auch danach, sich mit seiner eigenen Musik von seinen Nachbarn zu unterscheiden. Diese Strömung ist oftmals Ausdruck des Verlangens nach Emanzipation unterdrückter Menschen. Die Regeln klassischer Musik, bis dahin streng genormt, mussten jetzt die Eigenschaften von Melodie und Rhythmus der Volksmusik integrieren, sei es in der Tonalität, im Metrum oder im Aufbau. Falls dieses Aufkommen an volkstümlicher Inspiration mit sozialen Entwicklungen in Beziehung steht, vermag es den Zuhörer auch unmittelbarer zu berühren. Zusätzlich gibt es den zuweilen weit von ihrer Heimat entfernten Komponisten die Möglichkeit, mit ihren kulturellen Wurzeln verbunden zu bleiben, wie wir es bei Alberto Ginastera sehen werden.

INSPIRATION POPULAIRE

Mit einem Arrangement für Cello und Klavier von sechs der Sieben Spanischen Volkslieder (Siete Canciones populares Españolas), die 1915 von Manuel de Falla komponiert wurden, lässt er uns sofort in die feurige spanische Volksmusik eintauchen. Schon in der Wiege wurde der Komponist von traditionellen Melodien eingelullt, gesungen von seiner Amme. Später demonstrierte sein Kompositionslehrer, Felipe Pedrell, die Bedeutsamkeit geschichtlicher und volkstümlicher Quellen in der Iberischen Musik. Infolgedessen war de Falla stets bestrebt, das musikalische Erbe seines Landes aufzuzeigen. Das macht er hier auf unterschiedliche Weise, wie er es in einem 1917 veröffentlichten Artikel begründet: „Anstatt Volkslieder wortwörtlich abzuschreiben, habe ich versucht, sowohl ihren Rhythmus und ihre Modalität, ihre charakteristischen Grundsätze und dekorativen Motive als auch anpassende Kadenzen zu integrieren [...]. Meiner Meinung nach kommt es beim traditionellen Lied eher auf den Charakter des Stückes als auf den genauen Wortlaut an“. Dieser Liederzyklus dreht sich um das Thema der Liebe, das auch im Rest des Programms zu finden ist. Der Verlust der Unschuld, mütterliche Zuneigung, Verführung, Eifersucht, Herzschmerz und verbotene Liebe gehören zu den verschiedenen Aspekten, die de Falla sich mit Feinsinn und Realismus entscheidet auszugestalten.
Als nächstes befördert uns Pohádka (eine Fabel), 1910 von Leos Janacek komponiert, in die Welt slawischer Mythologie. Dieser Komponist verbrachte einen Großteil seines Lebens damit, die Folklore seiner Heimat Mähren zu studieren, insbesondere durch seine Volkslieder und Tänze. Janacek glaubte, dass ein Volk sich mit den Nuancen seiner gesprochenen Sprache identifiziert, und dass diese Nuancen den Abwandlungen volkstümlicher Melodien zugrunde liegen. Als Künstler und Zugehöriger einer Volksgruppe war er außerdem überzeugt, dass Menschlichkeit in ihrer Gesamtheit in der Volksmusik, dem Körper und der Seele ihrer Umgebung und Kultur, präsent ist.
Deswegen hoffte er, von traditioneller Musik erfüllte Kunstmusik könnte zu einem weitverbreiteten Erbe mit der Fähigkeit werden, Menschen zusammenzubringen. Seine umfassenden Studien und sein tiefes Nachdenken über den Wesenskern der mährischen Kultur bilden ebenso sehr melodisch wie auch rhythmisch und harmonisch das Fundament seiner musikalischen Ästhetik. Bei Pohádka handelt es sich um ein kleines Juwel, an dem der besondere Stil des Komponisten durch phrasenhafte Pizzicati beim Cello, Tonartwechsel, instrumentelle Farbe und durch ein aus traditioneller Musik und Tanz oder dem freien Metrum und ursprünglichen Aufbau des Werkes genommenes thematisches Material leicht erkennbar ist. Leos Janacek war ohnehin leidenschaftlicher Slawe, und seine Liebe zu Russland ist auch in diesem Stück zu finden. Tatsächlich ist Pohádka von einer russischen Fabel von Wassili Andrejewitsch Schukowski inspiriert: „Die Geschichte vom Zaren Berendei, seinem Sohn dem Zarewitsch Iwan, den Intrigen von Koschei dem Unsterblichen und der Weisheit von Prinzessin Maria, seiner Tochter“. Obgleich mehr als bloße Programmmusik, verkörpert das Werk mit großer Gewandtheit viele verschiedene Bestandteile der Geschichte. Folglich sind der Wald, der See, Entenküken, die Stimme des Zaren und die Verzauberung der zwischen dem Zarewitsch und Koscheis Tochter aufkeimenden Liebe alle eindeutig erkennbar.
Wir fahren fort mit Fünf Stücke im Volkston, 1849 komponiert von Robert Schumann. Ein Jahr zuvor schrieb Schumann in seinen Ratschlägen für junge Musiker: „Beachten Sie nationale Weisen und Volkslieder; sie enthalten eine enorme Ansammlung der besten Melodien, die einen Einblick ins Wesen verschiedener Nationen ermöglichen“. Für seine Fünf Stücke im Volkston gebraucht der Komponist mehrere für volkstümliche Musik charakteristische Prinzipien: Wiederholung in Form eines Refrains, schlichte und unvergessliche Melodien, ein einfacher Rhythmus, dem man leicht folgen kann und ein unverwechselbarer und leicht wieder erkennbarer Charakter. Die traditionelle Inspiration dieser fünf Stücke steht außer Frage; jedenfalls spielten zeitgleiche Ereignisse im Leben des Komponisten bestimmt auch eine Rolle. Das Jahr 1849 war eines von Schumanns produktivsten Jahren, wahrscheinlich das letzte, in dem er sein Familienleben vollständig genießen konnte. Seine Liebe zu Clara und den Kindern ist allgegenwärtig. Ist das denn nicht hörbar, zum Beispiel im sanften und zärtlichen Schlaflied des zweiten Satzes? Um es herauszufinden, muss man es sich bloß anhören und großherzig sein. Die 1979 von Alberto Ginastera komponierte Sonate für Cello und Klavier ist das Herzstück unserer Aufnahme. Der argentinische Komponist war bereits in die Schweiz emigriert als dieses Werk geschrieben wurde, aber es zeigt, wie tief seine Wurzeln gegründet waren.
Nachdem er drei lange Jahre unter Depressionen gelitten hatte, während der seine Komposition, hauptsächlich aufgrund der Zensur von Diktatoren in seinem Geburtsland, zum Stillstand gekommen war, fand Ginastera sowohl dank seines neuen Lebens in Genf als auch der Heirat mit der Cellistin Aurora Natola erneut inneren Frieden, Glück und Inspiration. Südamerikanische Volksmusik durchzieht das Werk, besonders durch den Gebrauch von für traditionelle argentinische Musik charakteristischen kraftvollen und repetitiven rhythmischen Figuren (beispielsweise das Carnavalito beim Finale). In Begleitung leidenschaftlicher Gauchos schickt Ginastera uns in die Pampa. Auch hier befindet sich Liebe im Zentrum des Stückes, widergespiegelt in den Andeutungen ¡Amor! im langsamen Satz. Daher passt es, dass Aurora Natola dieses Stück als das Kind, das sie niemals hatten, betrachtete und sich das Exklusivrecht, es irgendwo auf der Welt aufzuführen, bis zu ihrem Tod 2009 vorbehielt.
Was könnte für die Abrundung dieses Albums besser sein als ungarisches Feuerwerk? Mit seinen Zigeunerthemen und seiner Virtuosität ruft David Poppers 1894 veröffentliche Ungarische Rhapsodie die Vorstellung ländlicher Geigenspieler hervor, die am Kamin improvisieren oder auf Festen über Festen die Gäste zu nicht enden wollenden Tänzen animieren. Ob Sie dies mit Familie oder Freunden genießen, es ist so voller Leben und Begeisterung, dass wir ein wahrhaft farbenfrohes Programm beenden!

Estelle Revaz